Wissensteil:
Kontinuität und Diskontinuität der deutschen Außenpolitik
Die Außenpolitik der Weimarer Republik, gleichgültig von welchen Politikern und Parteien sie bestimmt wurde, sah ihr wesentliches Ziel darin, durch Revision eine „Entschärfung“ oder gar eine völlige Aufhebung des Versailler Vertrages zu erreichen. Diese kontinuierlich verfolgte Politik geht von Rapallo (1922) über Locarno (1925), den Eintritt in den Völkerbund (1926), den deutsch-sowjetischen Vertrag (1926), den Forderungen der Kanzler Brüning, Papen und Schleicher bis hin zu Hitler. Aus diesem Grunde muss für Zeitgenossen und auch für ausländische Beobachter die Kontinuität das hervorstechendste Charakteristikum der deutschen Außenpolitik von 1918 bis 1939 gewesen sein.
Aus heutiger Sicht erweist sich diese Kontinuität der politischen Forderungen, territorialen und machtpolitischen Ziele als unbestreitbar. Der Historiker K. Hildebrand stellte 1973 fest: „Hitlers ‚Programm’ aber integrierte prinzipiell alle seit Bismarcks Tagen in der deutschen Gesellschaft vorhandenen politischen Forderungen, wirtschaftlichen Notwendigkeiten und sozialpsychologischen Erwartungen.“ Betrachtet man jedoch speziell die Mittel und Methoden der NS-Außenpolitik ist ein Bruch festzustellen. Hitlers Lebensraumpolitik kalkulierte den Krieg bzw. (wie er ihn umschrieb) das „Brechen von Widerstand unter Risiko“ als feste Größe, als „normales politisches Mittel“ von Anfang an ein und betonte ideologisch dessen Auslesecharakter im Bereich der Völker und Nationen. Hitler forcierte die Eskalation politischer Verhältnisse bewusst und plante und realisierte den Krieg systematisch. Deshalb muss der 30.1.1933 heute unter dem Aspekt der außenpolitischen Mittel und Methoden als Zäsur betrachtet werden, auch wenn die Neuartigkeit, die Radikalität dieser Politik von den in- und ausländischen Zeitgenossen nicht erkannt werden konnte und in den Fünfzigerjahren nicht offen gelegt wurde, entweder aus emotionalen Gründen oder weil der Vorwurf der „Nestbeschmutzung“ vermieden werden sollte.
Hitlers außenpolitischer Stufenplan
Hitler ging in seiner Außenpolitik von der Maxime aus, dass Deutschland entweder eine Weltmacht oder gar nicht sein werde. Den Aufstieg zur Weltmacht wollte er in folgenden Stufen realisieren:
1. Erringung der Macht im Inneren und ihre Stabilisierung als Voraussetzung für eine machtbewusste Außenpolitik
2. Hegemonie in Zentraleuropa durch ein Kontinentalimperium mit einem festen machtpolitischen und „wehrwirtschaftlichen“ Rückhalt im „europäischen Ostraum“. Goebbels forderte 1943 die möglichst schnelle „Liquidierung“ des europäischen „Kleinstaatengerümpels“ (Tagebucheintragung vom 8.5.). Ziel des Krieges sei ein einheitliches Europa, das das Deutsche Reich beherrschen werde. „Von da ab ist praktisch der Weg zu einer Weltherrschaft vorgezeichnet. Wer Europa besitzt, der wird damit die Führung der Welt an sich reißen.“
3. Danach Gewinnung eines kolonialen „Ergänzungsraums“ in Afrika bei gleichzeitigem Aufbau einer starken Flotte. Hegemonie und Kolonien sollten Deutschland zur Weltmacht neben den USA, Großbritannien und Japan machen.
4. Für die folgende Generation erwartete Hitler einen Entscheidungskampf um die Weltherrschaft zwischen den beiden bedeutendsten Weltmächten, den USA und Deutschland. Hierfür sollte die Neutralität Japans durch das Zugeständnis einer östlichen Interessensphäre und nach Möglichkeit ein Bündnis mit dem „germanischen“ Großbritannien erreicht werden.
Das Scheitern des Stufenplans
Dieser Stufenplan Hitlers, der in seiner Entwicklung bis 1925 völlig abgeschlossen war und von da an nicht mehr verändert wurde, stellte eine völlige Abkehr von allem bisher Dagewesenen dar. In dieser Konzeption spielte Großbritannien die entscheidende Rolle. Mit dessen Kriegseintritt, den Hitlers bis zuletzt als unwahrscheinlich angesehen hatte, und mit dem Kriegseintritt der USA war das Programm nicht mehr wie geplant durchzuführen und damit zum Scheitern verurteilt.