Wissensteil:
Gemeinsamkeiten
1918 wie auch 1945 war Deutschland das Produkt einer totalen Niederlage und einer bedingungslosen Kapitulation. In beiden Fällen wurde das neue politische System der Demokratie von den Siegern erzwungen bzw. installiert. Ein Vergleich liefert wenige Gemeinsamkeiten und macht deutlich, dass die Ausgangsbedingungen Deutschlands 1945 deutlich problematischer waren als 1918.
Die Unterschiede
- Der wesentliche Unterschied ist, dass das Deutsche Reich 1918 völkerrechtlich erhalten und souverän bleibt. Die neuen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse werden ausschließlich von den Deutschen diskutiert, entschieden und gestaltet (Demokratie – Räterepublik, Verfassung, Parteien etc.). 1945 geht das Dritte Reich unter, Deutschland wird besetzt, hat keinerlei Souveränität (vgl. die Übernahme der obersten staatlichen Gewalt durch die Siegermächte durch die Berliner Proklamation vom 5.6.1945) und ist reines Objekt der Sieger, die ihre politischen Vorstellungen auf ihre Zonen übertragen.
- 1918 bleibt die Einheit des Reichs bestehen, wohingegen die Teilung Deutschlands nach 1945 rasch deutlich wird (gegensätzliche Ideologien der USA und der UdSSR, amerikanisch-sowjetischer Konfrontationskurs seit Mitte 1946, Ost-West-Konflikt und Kalter Krieg, Konferenzen der Jahre 1946 bis 1949, Entstehung der beiden deutschen Staaten).
- Menschen- und Gebietsverluste sind 1945 in etwa dreimal so groß wie 1918.
- Die Belastungen sind 1918 vor allem von emotionaler Art (Versailler Vertrag, Dolchstoßlegende, „Novemberverbrecher“ etc.); 1945 sind sie existentiell (extreme Zerstörung, Not, Vertreibung etc.) Die Deutschen sind sich nach dem Ersten Weltkrieg einig, schuldlos am Kriegsausbruch gewesen und deshalb ungerecht behandelt worden zu sein. Die Frage nach einer deutschen Schuld (Mitschuld) wird nicht gestellt. 1945 zwingen der Zusammenbruch des Staats, die Besetzung, der Nürnberger Kriegsverbrecherprozess und die Offenlegung der NS-Verbrechen die Deutschen zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, mit ihrer Beteiligung und ihrer Schuld.
- 1918 ist Deutschland außenpolitisch lediglich isoliert und hat seit 1922 (Rapallo) wieder die Option zwischen Ost, West oder Neutralität. Ferner hat es die Chance, wieder Großmachtstatus zu erreichen. 1945 hat Deutschland keinerlei außenpolitischen Optionen, sondern ist von Anfang an Teil des Ost-West-Konflikts, der seine Auseinanderentwicklung bestimmt und die Teilung zementiert. Auch nach 1949 sind beide deutsche Staaten stark (Bundesrepublik) bzw. völlig (DDR) abhängig von der jeweiligen Supermacht. Menschen- und Gebietsverluste sind 1945 in etwa dreimal so groß wie 1918.
Fazit
Der Schweizer Historiker F.R. Allemann beschäftigte sich in seinem 1956 erschienenen Buch „Bonn ist nicht Weimar“ mit den unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik Deutschland. Darin stellte er fest: „Das [die Kapitulation vom 8. Mai 1945] war nicht eine Wiederholung von 1918, sondern ein neuartiges und ungleich bedeutungsvolleres Ereignis. Nach dem Ersten Weltkrieg konnte das Reich den verlorenen Waffengang um den Preis eines freilich harten Friedens liquidieren; nach dem zweiten wurde es selbst liquidiert. 1918 brach ein Regime zusammen, 1945 ein Staat.“
(Fritz René Allemann: Bonn ist nicht Weimar. Kiepenheuer & Witsch, Köln/Berlin 1956, S. 15)